mein Resumeé zum 12-teiligen Strudlhofstiegenprojekt im Schauspielhaus
im Schauspielhaus Wien wurde in zwölf Folgen Die Strudlhofstiege von Heimito von Doderer als "Fortsetzungstheaterstück" aufgeführt: 12 Abende, 12 Regisseure, 4 Schauspielerinnen und Schauspieler, 900 Seiten Roman.
Ich begleitete, gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Heimito von Doderer-Gesellschaft, dieses Projekt in Form von kurzen Eindruckswiedergaben, die im Doderer-Forum, und hier, nachzulesen sind.
Damit wäre an sich die Sache abgeschlossen, dachte ich. Doch es kam anders. Als ich Dienstag, den 19. März 2008 um 20:15 nach Hause kam, fand ich in meinem Postkasten ein fein säuberlich mit hellblauer Tinte beschriebenes Kuvert mit meinem Namen, im Kuvert steckte eine Karte mit folgenden Worten, in gut leserlicher Handschrift mit grüner Tinte geschrieben:
18. März 2008, abends
"Sehr verehrter Herr Ramirer!
Nach der Lektüre ihrer Besprechungen zu den Strudlhofstiegenadaptionen am Schauspielhaus würde ich Sie gerne interviewen. Ich habe da ein paar Fragen an Sie.
Könnten Sie noch heute ins Café Nuovo Brioni kommen? Ich vermute, Sie wissen, wo es sich befindet?
Bin dort ab 21 Uhr und würde mich freuen,
Ihr
Heimito Doderer

Eigentlich war ich ziemlich müde nach einem etwas entnervenden Tag, doch es kommt nicht alle Tage vor, vom (noch dazu bereits seit 42 Jahren verstorbenen) Lieblingsautor zu einem Interview eingeladen zu werden. Also machte ich am Fuße kehrt und fuhr zum Brioni beim Franz Josefs-Bahnhof.
Und tatsächlich. Bei einem der Fenster saß, mit einer Schale schwarzem Kaffee, einer Torte, ein paar Füllfedern vor sich am Tisch... Herr von Doderer, der mich bat, Platz zu nehmen. Was ich verdutzt machte.
Er sah gut aus. Gar nicht tot, oder beerdigt, oder krank. Was mich verwunderte: er rauchte nicht. Doch viel zum beobachten kam ich nicht, er nahm das Heft des Gespräches rasch an sich und begann folgendermaßen:
Heimito von Doderer: Herr Ramirer, ich habe Ihre Rezensionen alle gelesen...
ich: Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche: SIE lesen etwas im Internet?
Heimito von Doderer: Nein, das ist ja alles nur ein Blödsinn. Aber manches landet eben ausgedruckt auf meinem Arbeitstisch. Mein Sekretär legt mir Sachen, die interessant sein könnten, auf den Tisch, ich überfliege das dann. Vieles davon ist ja uninteressant, aber ihre Kommentare... da hätte ich ein paar Fragen dazu.
ich: Gerne, gerne. Es ist nur so komisch, dass Sie mich was fragen wollen. ich würde so gerne Ihnen ein paar Fragen stellen...
Heimito von Doderer: Das wäre viel zu gewöhnlich, oder nicht? Der Autor der interviewt wird. Das kennen wir ja alles schon. Da der Leser dem Autor gleichrangig ist, kann der Spieß auch umgedreht werden, und das tue ich hiermit.
Also, erste Frage: Haben Sie den Eindruck, dass dieses nun abgeschlossene Theaterprojekt meinem Roman genutzt hat?
ich: Meiner Meinung nach ist ihr Roman eine vollkommene Sache. So ein schönes Buch habe ich kein zweites gelesen. Jedes Wort an seinem Platz, die Geschichte kann vom Leser als Werkzeug für eigene Lebenserfahrungen herangezogen werden. Mir hat der Roman, als ich ihn las, eine Wärme vermittelt, die ich in anderen Büchern vermisst habe. Ich war dem Projekt am Schauspielhaus gegenüber sehr skeptisch: Meine Strudlhofstiege wollen die theatermäßig umsetzen - kann das gut gehen? Und ich finde es sehr passend, dass ich Ihnen gegenüber die Wendung "meine Stiege" verwende, denn ich als Leser habe an "meiner Lesart" des Buches ja auch schöpferischen Anteil und liebe das Buch - ähnlich wie Sie es liebten, als sie es schrieben.
ich ging also skeptisch hin, und wurde überrascht. Das Theater kann vielleicht den Roman nicht "verbessern", aber es kann neue Türen ins Buch eröffnen, und das ist beeindruckend gelungen.
Heimito von Doderer: Jeder Leser meiner Bücher findet doch von selber ins Buch, oder nicht? Braucht es da neue Türen?
ich: Für mich war z.B. Ihre Stimme die Tür. Ich hörte Sie einmal die Seite 331 auf einer Aufnahme vorlesen und fand Zugang in das Buch. Drei Anläufe hatten vorher nicht gefruchtet, dann ging es - und wie! Fast jeden Tag sich selbst wiederfinden in gedruckten Wörtern, was für ein Erlebnis. Ein Buch als Spiegel. Wunderbar - aber sie kennen das ja von Güterslohs "Bekenntnissen".
Heimito von Doderer: So wie mir mit Gütersloh ging es Ihnen mit der Strudlhofstiege?
ich: ich glaube schon, ja. Obwohl man sowas ja schwer vergleichen kann.
Heimito von Doderer: Ich habe, auch aus anderen Kritiken der Stücke, vor allem auch von mir sehr verbundenen Lesern und Autoren, erfahren, dass mit meinen Figuren dort sehr lieblos umgegangen wurde, dass brutal gekürzt, dass billiger Witz angewendet wurde. Sehen Sie das nicht auch? Oder täuschen sich die alle?
ich: Es war eine teilweise sehr heftige Sache. Manche der Folgen hatten nur oberflächlich mit Ihren Inhalten zu tun, andere boten Passagen von bemerkenswert werktreuer Intensität. Es war ein Wechselbad. Es wäre etwas einseitig, nur das weitab liegende zu sehen, das es ja gab. Ich sah auch - und bemühte mich auch darum - das sehr liebevoll sich nähernde. Das zum Teil hilflos ausweichende, aber dabei niemals herunterputzende. Die Mitwirkenden haben sich, das war für mich zu sehen, sehr in Ihr Buch eingelassen. Nicht immer fanden sie umsetzbares, oder mussten Dinge stark adaptieren. Dabei entfernten sich etliche Passagen meilenweit von dem, was den Sprachexperten in ihrem großartigen Buch so wertvoll ist, und auch von dem, was Sie selbst so lieben: die Sprache und ihre Musik. Doch das Theater (mit welchem Sie ja, wenn ich einem Interview glauben schenken darf, nichts anfangen können) hat auch andere Möglichkeiten. Die Optionen der Gestik, kleinste Veränderungen des Lichts, räumliche Alterationen... die Magie des Theaters benutzt Sprache nur als eine Schiene, und die anderen sind ebenso wichtig. Die starken Kritiker des Projektes knien sich meist auf die sprachlichen Verluste. Doch was wurde alles in den anderen Ebenen aufgeboten! Das nicht zu sehen bedeutet: Enttäuschung, ganz klar.
Heimito von Doderer: Wie Sie richtig sagen, mir hat das Theater zeitlebens nichts gegeben. Gehen Sie gerne ins Theater?
ich: Hin und wieder, viel zu selten, kommt mir vor. Das körperliche Erleben von Sprache ist etwas ganz besonders schönes. Auch ihre Sprache kennt das.
Heimito von Doderer: Wo finden Sie das in meinen Texten, das "körperliche"?
ich: Beispielsweise in vielen ihrer Gedichte, die ich sehr liebe. Das Motto "Auf die Strudlhofstiege zu Wien" kann ich auswendig, und wenn ich es mir selbst zum Vergnügen vortrage, dann spüre ich es als Berührung an den Schultern, als eine Umarmung, so schön ist das. Oder "Ad Arcum Meum"...
Heimito von Doderer: Sie meinen das?
AD ARCUM MEUM
Numquam deficiens valide qui brachia vibras
ad jactum promptus imposito nervo!
Sic vivat superum mandatis subditus auctor,
tenso animo versus verbaque projiciens.
AN MEINEN BOGEN
Nimmer versagender Freund, wie schnellst du kräftig die Arme,
legt man die Sehne dir ein, bist du zum Schusse bereit!
Also müßte der Schreibende sein: vom höheren Auftrag
jetzt hinunter gebeugt, springt ihm die Sprache hervor.
ich: Genau! Unfassbar herrlich ist das! Das hat genau diese körperliche Qualität, die ich meine.
Heimito von Doderer: Es ist immer wieder schön, wenn man Leser trifft, die auch zum Gespräch bereit sind. Ich merke aber jetzt, dass Sie müde werden. Ich denke, es ist besser, Sie fahren jetzt nach Hause!
ich: Sie sind ein guter Beobachter und lieben die Menschen, über die Sie schreiben... ich danke Ihnen für die Fragen, es war ein "echtes" Erlebnis, Sie kennenzulernen.
Heimito von Doderer: Wir sehen uns also in den "Dämonen" wieder?
ich: Früher oder später mit Sicherheit. ich muss erst noch die Türe finden...
Heimito von Doderer: Sie werden sie finden, darauf vertraue ich. Servus, Ramirer!
ich: Sagen Sie "David". Gute Nacht!
Ich begleitete, gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Heimito von Doderer-Gesellschaft, dieses Projekt in Form von kurzen Eindruckswiedergaben, die im Doderer-Forum, und hier, nachzulesen sind.
Damit wäre an sich die Sache abgeschlossen, dachte ich. Doch es kam anders. Als ich Dienstag, den 19. März 2008 um 20:15 nach Hause kam, fand ich in meinem Postkasten ein fein säuberlich mit hellblauer Tinte beschriebenes Kuvert mit meinem Namen, im Kuvert steckte eine Karte mit folgenden Worten, in gut leserlicher Handschrift mit grüner Tinte geschrieben:
18. März 2008, abends
"Sehr verehrter Herr Ramirer!
Nach der Lektüre ihrer Besprechungen zu den Strudlhofstiegenadaptionen am Schauspielhaus würde ich Sie gerne interviewen. Ich habe da ein paar Fragen an Sie.
Könnten Sie noch heute ins Café Nuovo Brioni kommen? Ich vermute, Sie wissen, wo es sich befindet?
Bin dort ab 21 Uhr und würde mich freuen,
Ihr
Heimito Doderer

Eigentlich war ich ziemlich müde nach einem etwas entnervenden Tag, doch es kommt nicht alle Tage vor, vom (noch dazu bereits seit 42 Jahren verstorbenen) Lieblingsautor zu einem Interview eingeladen zu werden. Also machte ich am Fuße kehrt und fuhr zum Brioni beim Franz Josefs-Bahnhof.
Und tatsächlich. Bei einem der Fenster saß, mit einer Schale schwarzem Kaffee, einer Torte, ein paar Füllfedern vor sich am Tisch... Herr von Doderer, der mich bat, Platz zu nehmen. Was ich verdutzt machte.
Er sah gut aus. Gar nicht tot, oder beerdigt, oder krank. Was mich verwunderte: er rauchte nicht. Doch viel zum beobachten kam ich nicht, er nahm das Heft des Gespräches rasch an sich und begann folgendermaßen:
Heimito von Doderer: Herr Ramirer, ich habe Ihre Rezensionen alle gelesen...
ich: Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche: SIE lesen etwas im Internet?
Heimito von Doderer: Nein, das ist ja alles nur ein Blödsinn. Aber manches landet eben ausgedruckt auf meinem Arbeitstisch. Mein Sekretär legt mir Sachen, die interessant sein könnten, auf den Tisch, ich überfliege das dann. Vieles davon ist ja uninteressant, aber ihre Kommentare... da hätte ich ein paar Fragen dazu.
ich: Gerne, gerne. Es ist nur so komisch, dass Sie mich was fragen wollen. ich würde so gerne Ihnen ein paar Fragen stellen...
Heimito von Doderer: Das wäre viel zu gewöhnlich, oder nicht? Der Autor der interviewt wird. Das kennen wir ja alles schon. Da der Leser dem Autor gleichrangig ist, kann der Spieß auch umgedreht werden, und das tue ich hiermit.
Also, erste Frage: Haben Sie den Eindruck, dass dieses nun abgeschlossene Theaterprojekt meinem Roman genutzt hat?
ich: Meiner Meinung nach ist ihr Roman eine vollkommene Sache. So ein schönes Buch habe ich kein zweites gelesen. Jedes Wort an seinem Platz, die Geschichte kann vom Leser als Werkzeug für eigene Lebenserfahrungen herangezogen werden. Mir hat der Roman, als ich ihn las, eine Wärme vermittelt, die ich in anderen Büchern vermisst habe. Ich war dem Projekt am Schauspielhaus gegenüber sehr skeptisch: Meine Strudlhofstiege wollen die theatermäßig umsetzen - kann das gut gehen? Und ich finde es sehr passend, dass ich Ihnen gegenüber die Wendung "meine Stiege" verwende, denn ich als Leser habe an "meiner Lesart" des Buches ja auch schöpferischen Anteil und liebe das Buch - ähnlich wie Sie es liebten, als sie es schrieben.
ich ging also skeptisch hin, und wurde überrascht. Das Theater kann vielleicht den Roman nicht "verbessern", aber es kann neue Türen ins Buch eröffnen, und das ist beeindruckend gelungen.
Heimito von Doderer: Jeder Leser meiner Bücher findet doch von selber ins Buch, oder nicht? Braucht es da neue Türen?
ich: Für mich war z.B. Ihre Stimme die Tür. Ich hörte Sie einmal die Seite 331 auf einer Aufnahme vorlesen und fand Zugang in das Buch. Drei Anläufe hatten vorher nicht gefruchtet, dann ging es - und wie! Fast jeden Tag sich selbst wiederfinden in gedruckten Wörtern, was für ein Erlebnis. Ein Buch als Spiegel. Wunderbar - aber sie kennen das ja von Güterslohs "Bekenntnissen".
Heimito von Doderer: So wie mir mit Gütersloh ging es Ihnen mit der Strudlhofstiege?
ich: ich glaube schon, ja. Obwohl man sowas ja schwer vergleichen kann.
Heimito von Doderer: Ich habe, auch aus anderen Kritiken der Stücke, vor allem auch von mir sehr verbundenen Lesern und Autoren, erfahren, dass mit meinen Figuren dort sehr lieblos umgegangen wurde, dass brutal gekürzt, dass billiger Witz angewendet wurde. Sehen Sie das nicht auch? Oder täuschen sich die alle?
ich: Es war eine teilweise sehr heftige Sache. Manche der Folgen hatten nur oberflächlich mit Ihren Inhalten zu tun, andere boten Passagen von bemerkenswert werktreuer Intensität. Es war ein Wechselbad. Es wäre etwas einseitig, nur das weitab liegende zu sehen, das es ja gab. Ich sah auch - und bemühte mich auch darum - das sehr liebevoll sich nähernde. Das zum Teil hilflos ausweichende, aber dabei niemals herunterputzende. Die Mitwirkenden haben sich, das war für mich zu sehen, sehr in Ihr Buch eingelassen. Nicht immer fanden sie umsetzbares, oder mussten Dinge stark adaptieren. Dabei entfernten sich etliche Passagen meilenweit von dem, was den Sprachexperten in ihrem großartigen Buch so wertvoll ist, und auch von dem, was Sie selbst so lieben: die Sprache und ihre Musik. Doch das Theater (mit welchem Sie ja, wenn ich einem Interview glauben schenken darf, nichts anfangen können) hat auch andere Möglichkeiten. Die Optionen der Gestik, kleinste Veränderungen des Lichts, räumliche Alterationen... die Magie des Theaters benutzt Sprache nur als eine Schiene, und die anderen sind ebenso wichtig. Die starken Kritiker des Projektes knien sich meist auf die sprachlichen Verluste. Doch was wurde alles in den anderen Ebenen aufgeboten! Das nicht zu sehen bedeutet: Enttäuschung, ganz klar.
Heimito von Doderer: Wie Sie richtig sagen, mir hat das Theater zeitlebens nichts gegeben. Gehen Sie gerne ins Theater?
ich: Hin und wieder, viel zu selten, kommt mir vor. Das körperliche Erleben von Sprache ist etwas ganz besonders schönes. Auch ihre Sprache kennt das.
Heimito von Doderer: Wo finden Sie das in meinen Texten, das "körperliche"?
ich: Beispielsweise in vielen ihrer Gedichte, die ich sehr liebe. Das Motto "Auf die Strudlhofstiege zu Wien" kann ich auswendig, und wenn ich es mir selbst zum Vergnügen vortrage, dann spüre ich es als Berührung an den Schultern, als eine Umarmung, so schön ist das. Oder "Ad Arcum Meum"...
Heimito von Doderer: Sie meinen das?
AD ARCUM MEUM
Numquam deficiens valide qui brachia vibras
ad jactum promptus imposito nervo!
Sic vivat superum mandatis subditus auctor,
tenso animo versus verbaque projiciens.
AN MEINEN BOGEN
Nimmer versagender Freund, wie schnellst du kräftig die Arme,
legt man die Sehne dir ein, bist du zum Schusse bereit!
Also müßte der Schreibende sein: vom höheren Auftrag
jetzt hinunter gebeugt, springt ihm die Sprache hervor.
ich: Genau! Unfassbar herrlich ist das! Das hat genau diese körperliche Qualität, die ich meine.
Heimito von Doderer: Es ist immer wieder schön, wenn man Leser trifft, die auch zum Gespräch bereit sind. Ich merke aber jetzt, dass Sie müde werden. Ich denke, es ist besser, Sie fahren jetzt nach Hause!
ich: Sie sind ein guter Beobachter und lieben die Menschen, über die Sie schreiben... ich danke Ihnen für die Fragen, es war ein "echtes" Erlebnis, Sie kennenzulernen.
Heimito von Doderer: Wir sehen uns also in den "Dämonen" wieder?
ich: Früher oder später mit Sicherheit. ich muss erst noch die Türe finden...
Heimito von Doderer: Sie werden sie finden, darauf vertraue ich. Servus, Ramirer!
ich: Sagen Sie "David". Gute Nacht!
david ramirer - Freitag, 21. März 2008, 02:48