9. Folge: Rosenpopo
im Schauspielhaus Wien wird derzeit in zwölf Folgen Die Strudlhofstiege von Heimito von Doderer als "Fortsetzungstheaterstück" aufgeführt: 12 Abende, 12 Regisseure, 4 Schauspielerinnen und Schauspieler, 900 Seiten Roman.
Ich begleite, gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Heimito von Doderer-Gesellschaft, dieses Projekt in Form von kurzen Eindruckswiedergaben, die im Doderer-Forum, und hier, nachzulesen sind.
Folge 9: Rosenpopo (Aufführung vom 29.2.2008)
Regie: Alice Buddeberg
Seite 655-721
Im sehr krassen Kontrast zu den in den vergangenen Wochen zur Schau gestellten Inszenierungen nimmt Alice Buddeberg sich dem Dodererschen Figurenarsenal auf liebevoll-zärtliche Art und Weise an. Es ist daher in meinen Augen auch kein Zufall, dass die Figur der Thea Rokitzer in dieser Folge als kindlich gestaltete lebensgroße Papiermachépuppe auftritt und auf dem Schoß von Angela Ascher ihre innere Leere ergreifend offenbart. Der dadurch umgesetzte Umgang mit der Figur der Thea hat etwas fürsorgliches, und in ähnlicher Weise wird mit den Figuren, die von Menschen verkörpert werden, auch umgegangen.
Dieser liebevolle Umgang mit seinen Figuren eignet auch Herrn Doderer... was bisher noch kein einziges Mal spürbar gemacht wurde. Dafür alleine schon sei Frau Buddeberg Dank gesagt.
"Mit dem Krieg hat das alles nichts zu tun" fungiert als ausgesprochene Chiffre für die Szenenwechsel, in welchen die Figuren, die diesesmal durch starke weiße Gesichtsschminke Erinnerungen an die Commedia dell'arte, (aber auch an das Marionettentheater) aufkommen lassen, sich schlacksig und puppenhaft zu ihren neuen Plätzen begeben. Dort schlüpfen sie aber auf bewundernswerte Art und Weise in ihre Rollen und verkörpern die Schlüsselszenen der diesesmal aus dem Roman entnommenen Seiten.

Dazu gehört unter anderem die oben schon erwähnte Visualisierung der Rokitzerischen inneren Leere, und es hebt sich von den anderen Inszenierungen stark ab, dass zu diesem Behufe fast nur unveränderte Zitate aus dem Roman verwendet worden sind.
Einmal nur schiebt sich ein anderer wesentlicher österreichischer Autor ein: Ernst Jandl und sein "schtzngrmm" wird vom Major Melzer (Johannes Zeiler), der ja doch auch seine Kriegserinnerungen mit sich herumträgt, intoniert... dem eklatant widersprechend, dass das alles "mit dem Krieg nichts zu tun hat".

Meisterhaft umgesetzt wurde die Gesprächssituation zwischen Melzer und Stangeler, die den Weg zum Bärenfell in schweigendem, sich gegenseitig zaghaft abtastendem Mimen- und Körpersprachenspiel "abfeiern". Da sitzt jede Drehung der Körper zueinander, jedes Warten, Zögern... das Schweigen ist beredter als viele Worte das vermögen könnten. Erinnerungen an Folge 7, wo ein Gespräch zwischen den beiden Männern so lieblos abgenudelt wurde, verpuffen angesichts dieses intimen Dialoges. Stangeler spielt verträumt am Lichtschalter, Melzer sucht währenddessen nach Worten, und das Gespräch baut sich auf ganz wenigen, klaren Begriffen und Sätzen aufruhend auf. Zeit wird hier lebendigst genutzt, und der Betrachter tritt in den Rythmus dieses Gespräches ein wie in einen eigenen Raum.
Wie ein Fenster erschien mir diese neunte Folge - ein Fenster in eine andere Form des Theaters (im Vergleich zu den anderen acht Episoden), und wie Fenster öffneten sich auch die einzelnen Episoden, jede einzelne hatte die Energie, sich jeweils links und rechts der Zeitachse weiter auszudehnen, was zu einer szenischen Collage führte, die sich statisch - und doch auch sehr dynamisch - zusammensetzte: eine Kombination der Zustände, die nur mittels Magie hergestellt werden kann.
Staunend wurde Theater lebendig und wie in noch keiner Episode bisher nachdrücklich demonstriert, dass Doderers Sprache sehr wohl theatertauglich ist... und mehr als das: dem Theater viel zu geben hat...
(...) Er schwieg. Das beruhigte Melzern in einer seltsamen Weise: daß nämlich jenem die Sprache nicht durchging. Daß er absetzte. Langsam redete, immer noch knapp, immer noch die Worte wägend. Es gab Vertrauen, so etwa fühlt' es der Major; und nicht eigentlich in das Gesagte, wohl aber in die Gültigkeit dieser Situation. (...) (Seite 686)
...auch wenn das vielleicht im Grunde alles nur Gemeinheiten sind.
Ich begleite, gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Heimito von Doderer-Gesellschaft, dieses Projekt in Form von kurzen Eindruckswiedergaben, die im Doderer-Forum, und hier, nachzulesen sind.
Folge 9: Rosenpopo (Aufführung vom 29.2.2008)
Regie: Alice Buddeberg
Seite 655-721
Im sehr krassen Kontrast zu den in den vergangenen Wochen zur Schau gestellten Inszenierungen nimmt Alice Buddeberg sich dem Dodererschen Figurenarsenal auf liebevoll-zärtliche Art und Weise an. Es ist daher in meinen Augen auch kein Zufall, dass die Figur der Thea Rokitzer in dieser Folge als kindlich gestaltete lebensgroße Papiermachépuppe auftritt und auf dem Schoß von Angela Ascher ihre innere Leere ergreifend offenbart. Der dadurch umgesetzte Umgang mit der Figur der Thea hat etwas fürsorgliches, und in ähnlicher Weise wird mit den Figuren, die von Menschen verkörpert werden, auch umgegangen.
Dieser liebevolle Umgang mit seinen Figuren eignet auch Herrn Doderer... was bisher noch kein einziges Mal spürbar gemacht wurde. Dafür alleine schon sei Frau Buddeberg Dank gesagt.
"Mit dem Krieg hat das alles nichts zu tun" fungiert als ausgesprochene Chiffre für die Szenenwechsel, in welchen die Figuren, die diesesmal durch starke weiße Gesichtsschminke Erinnerungen an die Commedia dell'arte, (aber auch an das Marionettentheater) aufkommen lassen, sich schlacksig und puppenhaft zu ihren neuen Plätzen begeben. Dort schlüpfen sie aber auf bewundernswerte Art und Weise in ihre Rollen und verkörpern die Schlüsselszenen der diesesmal aus dem Roman entnommenen Seiten.

Dazu gehört unter anderem die oben schon erwähnte Visualisierung der Rokitzerischen inneren Leere, und es hebt sich von den anderen Inszenierungen stark ab, dass zu diesem Behufe fast nur unveränderte Zitate aus dem Roman verwendet worden sind.
Einmal nur schiebt sich ein anderer wesentlicher österreichischer Autor ein: Ernst Jandl und sein "schtzngrmm" wird vom Major Melzer (Johannes Zeiler), der ja doch auch seine Kriegserinnerungen mit sich herumträgt, intoniert... dem eklatant widersprechend, dass das alles "mit dem Krieg nichts zu tun hat".

Meisterhaft umgesetzt wurde die Gesprächssituation zwischen Melzer und Stangeler, die den Weg zum Bärenfell in schweigendem, sich gegenseitig zaghaft abtastendem Mimen- und Körpersprachenspiel "abfeiern". Da sitzt jede Drehung der Körper zueinander, jedes Warten, Zögern... das Schweigen ist beredter als viele Worte das vermögen könnten. Erinnerungen an Folge 7, wo ein Gespräch zwischen den beiden Männern so lieblos abgenudelt wurde, verpuffen angesichts dieses intimen Dialoges. Stangeler spielt verträumt am Lichtschalter, Melzer sucht währenddessen nach Worten, und das Gespräch baut sich auf ganz wenigen, klaren Begriffen und Sätzen aufruhend auf. Zeit wird hier lebendigst genutzt, und der Betrachter tritt in den Rythmus dieses Gespräches ein wie in einen eigenen Raum.
Wie ein Fenster erschien mir diese neunte Folge - ein Fenster in eine andere Form des Theaters (im Vergleich zu den anderen acht Episoden), und wie Fenster öffneten sich auch die einzelnen Episoden, jede einzelne hatte die Energie, sich jeweils links und rechts der Zeitachse weiter auszudehnen, was zu einer szenischen Collage führte, die sich statisch - und doch auch sehr dynamisch - zusammensetzte: eine Kombination der Zustände, die nur mittels Magie hergestellt werden kann.
Staunend wurde Theater lebendig und wie in noch keiner Episode bisher nachdrücklich demonstriert, dass Doderers Sprache sehr wohl theatertauglich ist... und mehr als das: dem Theater viel zu geben hat...
(...) Er schwieg. Das beruhigte Melzern in einer seltsamen Weise: daß nämlich jenem die Sprache nicht durchging. Daß er absetzte. Langsam redete, immer noch knapp, immer noch die Worte wägend. Es gab Vertrauen, so etwa fühlt' es der Major; und nicht eigentlich in das Gesagte, wohl aber in die Gültigkeit dieser Situation. (...) (Seite 686)
...auch wenn das vielleicht im Grunde alles nur Gemeinheiten sind.
david ramirer - Freitag, 29. Februar 2008, 21:00