wie ein neuer mensch...
"Hier war empor zu schreiten, hier mußte man herunter gezogen kommen, nicht geschwind hinauf oder herab steigen über die Hühnerleiter formloser Zwecke."
DS331
in dem interview, das ich vor ein paar wochen hier zugänglich machte, sagt doderer, dass das buch "bekenntnisse" von a.p. gütersloh in sein leben "wie ein neuer mensch, in umstürzender weise" getreten sei. nun, da ich "die strudlhofstiege", den ersten der großen drei wien-romane doderers, zum ersten male durchzogen bin, kann ich das von diesem buche auch behaupten. es war kein leichtes eintreten in dieses werk für mich... bei den anderen romanen, die ich von doderer gelesen habe fand ich immer sehr leicht und schnell zugang und durchschritt sie in meist sogar recht flottem, gespanntem, höchst amüsiertem und emotional geöffnetem zustand. bei der strudlhofstiege tat ich mir schwerer. drei anläufe brauchte es, bei den ersten beiden versickerte der lesefluss nach etwa 100 bis 150 seiten, es wollte kein bezug zum inhalt, kein verständnis für die sprünge von figur zu figur, von ort zu ort aufkommen. ich war darob irritiert, wo doch die anderen bücher für mich so offen dalagen, ich sie so liebte. aber dieses buch verschloss sich mir.
die türe geöffnet in das buch hat mir herr doderer höchstpersönlich: auf der bereits erwähnten CD liest doderer selbst die seite 331 des buches in seiner wunderbar durchstrukturierten und pointierten art, und das war meine fahrkarte ins werk, sozusagen. ich betrachtete das buch nun eher von der musikalischen ebene, von der sprachmusikalischen seite und die seiten und abschnitte glitten plötzlich dahin, und die figuren erhielten unter dieser wasseroberfläche der musikalischen sprachebene plötzlich kontur und der roman entfaltete sich vor mir. heute dann, nachdem ich die 909 seiten durchmessen habe, bin ich traurig, dass das buch zu ende ist, und gleichzeitig so bereichert wie noch von kaum einem buch.
bisweilen kam es in meinem leben schon vor, dass in einem buch sätze stehen, die ich in dem moment, in dem ich sie lese, besonders gut verstehe, sätze, die ich mitnehme in den täglichen weg. in der strudlhofstiege war es anders... ich vermeinte über weite strecken selbst in dem werk zu sein und an manchen passagen direkt angesprochen zu werden, als ob das buch nur für mich in diesen letzten monaten des jahres 2006 und den ersten wochen des jahres 2007 geschrieben sei. das ging von orten, die mir wesentlich sind (und die ich gut kenne) über erinnerungen in meinem leben, die ich auf isomorphe art und weise exakt so erlebt habe bis hin zu ganz alltäglichen bemerkungen, die doderer in dem roman personen tätigen lässt, so als ob sie es mir sagen, über ganze seiten hinweg; so fand ich in der "strudlhofstiege" mehr als einen roman, ich fand in gewisser weise eine spiegelung meiner selbst, eventuell durch das spiegeln meiner existenz in der wasseroberfläche des sprachmusikmeeres, das bisweilen so wunderbar stille da liegt und nur wahrnimmt, dann wieder sich in scherzi aufbäumt, um dann in ganz lyrischen passagen sich einzufrieden - umrahmt, aber offen... die strudlhofstiege erlebte ich als einen naturbelassenen sommerlichen garten, in den ich über die letzten wochen immer wieder gehen konnte, nie erahnend, was noch alles da kommen wird. gegen ende gab es schon ahnungen, aber dennoch immer nur subtil als untertöne, die dann doch in der durchführung noch heller leuchteten als erhofft oder gedacht.
was noch bemerkenswert war: das buch hannibal rising, das während meiner lektüre erschien, wurde zwischen zwei abschnitten der strudlhofstiege von mir gelesen, war in drei tagen durch und wurde im kontrast zu doderers wortmusikalischer kraft im vergleich wie eine ambitioniert verfasste glosse in einer tages- oder wochenzeitung empfunden.
an sich schätze ich thomas harris sehr, vor allem seine bücher "roter drache" und "schwarzer sonntag", aber der kontrast zu doderer ist wie der zwischen bach ("die kunst der fuge") und britney spears ("oops, i did it again").
mir scheint fast, die tatsache, dass ich das buch früher nie betreten konnte, hat damit zu tun, dass es auf den perfekten musikalischen moment gewartet hat, zu dem es in meinem leben als kontrapunkt mitgehen kann. jetzt bin ich froh, das buch nicht früher gelesen zu haben, und wahrhaft glücklich, dass es mich so begleitet hat, mich quasi an der hand nehmend.
heimito von doderer ist da etwas ganz besonderes gelungen, für das ich mich in aller form bedanken möchte (und werde).
DS331
in dem interview, das ich vor ein paar wochen hier zugänglich machte, sagt doderer, dass das buch "bekenntnisse" von a.p. gütersloh in sein leben "wie ein neuer mensch, in umstürzender weise" getreten sei. nun, da ich "die strudlhofstiege", den ersten der großen drei wien-romane doderers, zum ersten male durchzogen bin, kann ich das von diesem buche auch behaupten. es war kein leichtes eintreten in dieses werk für mich... bei den anderen romanen, die ich von doderer gelesen habe fand ich immer sehr leicht und schnell zugang und durchschritt sie in meist sogar recht flottem, gespanntem, höchst amüsiertem und emotional geöffnetem zustand. bei der strudlhofstiege tat ich mir schwerer. drei anläufe brauchte es, bei den ersten beiden versickerte der lesefluss nach etwa 100 bis 150 seiten, es wollte kein bezug zum inhalt, kein verständnis für die sprünge von figur zu figur, von ort zu ort aufkommen. ich war darob irritiert, wo doch die anderen bücher für mich so offen dalagen, ich sie so liebte. aber dieses buch verschloss sich mir.
die türe geöffnet in das buch hat mir herr doderer höchstpersönlich: auf der bereits erwähnten CD liest doderer selbst die seite 331 des buches in seiner wunderbar durchstrukturierten und pointierten art, und das war meine fahrkarte ins werk, sozusagen. ich betrachtete das buch nun eher von der musikalischen ebene, von der sprachmusikalischen seite und die seiten und abschnitte glitten plötzlich dahin, und die figuren erhielten unter dieser wasseroberfläche der musikalischen sprachebene plötzlich kontur und der roman entfaltete sich vor mir. heute dann, nachdem ich die 909 seiten durchmessen habe, bin ich traurig, dass das buch zu ende ist, und gleichzeitig so bereichert wie noch von kaum einem buch.
bisweilen kam es in meinem leben schon vor, dass in einem buch sätze stehen, die ich in dem moment, in dem ich sie lese, besonders gut verstehe, sätze, die ich mitnehme in den täglichen weg. in der strudlhofstiege war es anders... ich vermeinte über weite strecken selbst in dem werk zu sein und an manchen passagen direkt angesprochen zu werden, als ob das buch nur für mich in diesen letzten monaten des jahres 2006 und den ersten wochen des jahres 2007 geschrieben sei. das ging von orten, die mir wesentlich sind (und die ich gut kenne) über erinnerungen in meinem leben, die ich auf isomorphe art und weise exakt so erlebt habe bis hin zu ganz alltäglichen bemerkungen, die doderer in dem roman personen tätigen lässt, so als ob sie es mir sagen, über ganze seiten hinweg; so fand ich in der "strudlhofstiege" mehr als einen roman, ich fand in gewisser weise eine spiegelung meiner selbst, eventuell durch das spiegeln meiner existenz in der wasseroberfläche des sprachmusikmeeres, das bisweilen so wunderbar stille da liegt und nur wahrnimmt, dann wieder sich in scherzi aufbäumt, um dann in ganz lyrischen passagen sich einzufrieden - umrahmt, aber offen... die strudlhofstiege erlebte ich als einen naturbelassenen sommerlichen garten, in den ich über die letzten wochen immer wieder gehen konnte, nie erahnend, was noch alles da kommen wird. gegen ende gab es schon ahnungen, aber dennoch immer nur subtil als untertöne, die dann doch in der durchführung noch heller leuchteten als erhofft oder gedacht.
was noch bemerkenswert war: das buch hannibal rising, das während meiner lektüre erschien, wurde zwischen zwei abschnitten der strudlhofstiege von mir gelesen, war in drei tagen durch und wurde im kontrast zu doderers wortmusikalischer kraft im vergleich wie eine ambitioniert verfasste glosse in einer tages- oder wochenzeitung empfunden.
an sich schätze ich thomas harris sehr, vor allem seine bücher "roter drache" und "schwarzer sonntag", aber der kontrast zu doderer ist wie der zwischen bach ("die kunst der fuge") und britney spears ("oops, i did it again").
mir scheint fast, die tatsache, dass ich das buch früher nie betreten konnte, hat damit zu tun, dass es auf den perfekten musikalischen moment gewartet hat, zu dem es in meinem leben als kontrapunkt mitgehen kann. jetzt bin ich froh, das buch nicht früher gelesen zu haben, und wahrhaft glücklich, dass es mich so begleitet hat, mich quasi an der hand nehmend.
heimito von doderer ist da etwas ganz besonderes gelungen, für das ich mich in aller form bedanken möchte (und werde).
david ramirer - Freitag, 19. Januar 2007, 22:43
wie ein neuer...
so begeistert darüber berichten! ich beneide dich. ich hoffe dieser zeitpunkt der erkenntnis kommt noch. :-)