...und noch ein gruß "über die barriere":
(...) Der wahre Leser sucht keinen "Roman des Eisens" (der Stadt, des Radios, der Politik, des Goldes, des Seekrieges, der Jugendbewegung, der Altertumsforschung, des Anilins), sondern eben einen - Roman. Der wahre Leser wird nie einen Romancier fragen: "Worüber schreiben Sie jetzt?", denn der könnte ihm nur antworten: "Über Sie, mein Herr, über mich, und darüber, daß es da unten im Hausflur heute nach frischem Lack gerochen hat."
Wird jener tiefsten Forderung des Lesers genug getan, platzt wirklich die unaufgeblühte Duftknospe mancher Augenblicke seines Lebens, so erhebt er sich schlagartig in großer Zahl, die aus dem Boden wächst, wie dem Jason die gepanzerten Männer aus dem Acker stiegen, nachdem er die Drachenzähne gesät hatte. Auf solche Leser ist Verlaß, sie sind die eiserne Garde ihres Autors, die ihn vor jeder Fährlichkeit im literarischen Leben schützt. Die Erfahrung lehrt es.
Aber: man muß das Auge des Lesers ertragen lernen und seinen Blick, der durch Herz und Nieren geht. Ja, um jenes Auge zeigt sich oft etwas, wie das bekannte Dreieck um ein bekanntes symbolisches Auge. Wisse, Autor, daß für den wahren Leser in keinem Falle das Allerbeste auch nur annähernd gut genug ist.
(Heimito von Doderer, "Roman - vom Leser her gesehen", 1954)
Wird jener tiefsten Forderung des Lesers genug getan, platzt wirklich die unaufgeblühte Duftknospe mancher Augenblicke seines Lebens, so erhebt er sich schlagartig in großer Zahl, die aus dem Boden wächst, wie dem Jason die gepanzerten Männer aus dem Acker stiegen, nachdem er die Drachenzähne gesät hatte. Auf solche Leser ist Verlaß, sie sind die eiserne Garde ihres Autors, die ihn vor jeder Fährlichkeit im literarischen Leben schützt. Die Erfahrung lehrt es.
Aber: man muß das Auge des Lesers ertragen lernen und seinen Blick, der durch Herz und Nieren geht. Ja, um jenes Auge zeigt sich oft etwas, wie das bekannte Dreieck um ein bekanntes symbolisches Auge. Wisse, Autor, daß für den wahren Leser in keinem Falle das Allerbeste auch nur annähernd gut genug ist.
(Heimito von Doderer, "Roman - vom Leser her gesehen", 1954)
david ramirer - Sonntag, 21. Januar 2007, 17:35
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