Ballade der großen Müdigkeit
Ich bin von großer Müdigkeit befallen,
und alles, was ich weiß, ist mir zur Last.
Der Menschheit Jammer hat mich angefaßt
und kommt in immer kürzern Intervallen.
Man soll mich, bitteschön, zu nichts mehr drängen.
Man soll mich schlafen lassen. Es ist spät.
Man soll - wenn´s draußen denn schon weitergeht -
mir feuchte Tücher vor die Fenster hängen.
Ich bin zu alt und werde immer älter.
Ich lauf mir täglich ein Stück voraus,
und kaum gepflückter Impressionen Strauß
verwelkt mir im Erinnerungsbehälter.
Ich hab genug. Ich kann nichts Neues brauchen.
Ich blühe nicht mehr auf. Ich blüh hinab.
Wo geht´s denn da zur Wiege ... ? wo zum Grab .. ?
Ich möchte rückwärts in die Zeiten tauchen.
Ich möchte jünger sein und jedem grollen,
der mich belehrt: „Ja, sie ! Sie sind noch jung !“
Ich möchte Anlauf haben, Luft und Schwung.
Ich möchte wieder älter werden wollen.
Ich möchte vieles planen und erleben,
ich möchte kompliziert und schwierig sein
und jeder Neuerung begierig sein -
novarum rerum cupidus, nun eben.
Ich möchte wieder lachen oder weinen
(es wäre gar kein großer Unterschied)
und überlegen: wie man mich wohl sieht ?
Ich möchte etwas sein und scheinen.
Ich möchte mir ein hohes Ziel erküren,
wie es noch nie ein Mensch vor mir bedacht.
Ich möchte groß und schlaflos in der Nacht
das flügelschlagen meiner Sehnsucht spüren.
Ich möchte, weil ein Mädchen mir nicht glaubte,
das Leben und die Welt nicht mehr verstehen.
Noch lieber möchte ich zugrunde gehn,
weil sie mir nicht den kleinsten Kuß erlaubte.
Ich möchte in entlegnem Dämmergarten,
darauf der Juli rastet reglos warm,
mit einem Notenalbum unterm Arm
auf die, die mir seit gestern du sagt, warten.
Ich möchte jeden scheelen Blicks betrachten,
der mit den Mädchen überhaupt verkehrt,
und einen Freund besitzen, der mich lehrt,
die dummen Gänse gründlich zu verachten.
Ich möchte sämtlichen Verboten höhnen
und eines Tages in verwegner Flucht
entrinnen aller elterlicher Zucht
und nachher unter ihrer Willkühr stöhnen.
Ich möchte nie im fußballspielen rasten
und heimwärtsschleichen mit zerschundnen Knien.
Ich möchte Winnetou und Plastilin
und Matador und Richters Steinbaukasten.
Ich möchte staunend in die Tage treten
mit großen Augen und verwirrtem Sinn,
und lernen, wo ich wohne, wer ich bin.
Ich möchte vor dem Schlafengehen beten.
Ich möchte meine ersten Worte lallen
und schlummern ohne Wissen, ohne Ziel.
Ach alles, was ich weiß, ist mir zu viel.
Ich bin von großer Müdigkeit befallen.
Ich möcht´ hintüber sinken in die Kissen,
ich möcht´ dorthin, wohin ich geh, nicht gehn,
ich möchte alles, was ich seh, nicht sehn,
ich möchte alles, was ich weiß, nicht wissen,
ich möchte alles, was ich fühl, nicht fühlen
und ganz allein sein ... Nein, nicht ganz allein:
ich möchte gern zwei kleine Hunde sein
und miteinander spielen.
Friedrich Torberg (1938)
und alles, was ich weiß, ist mir zur Last.
Der Menschheit Jammer hat mich angefaßt
und kommt in immer kürzern Intervallen.
Man soll mich, bitteschön, zu nichts mehr drängen.
Man soll mich schlafen lassen. Es ist spät.
Man soll - wenn´s draußen denn schon weitergeht -
mir feuchte Tücher vor die Fenster hängen.
Ich bin zu alt und werde immer älter.
Ich lauf mir täglich ein Stück voraus,
und kaum gepflückter Impressionen Strauß
verwelkt mir im Erinnerungsbehälter.
Ich hab genug. Ich kann nichts Neues brauchen.
Ich blühe nicht mehr auf. Ich blüh hinab.
Wo geht´s denn da zur Wiege ... ? wo zum Grab .. ?
Ich möchte rückwärts in die Zeiten tauchen.
Ich möchte jünger sein und jedem grollen,
der mich belehrt: „Ja, sie ! Sie sind noch jung !“
Ich möchte Anlauf haben, Luft und Schwung.
Ich möchte wieder älter werden wollen.
Ich möchte vieles planen und erleben,
ich möchte kompliziert und schwierig sein
und jeder Neuerung begierig sein -
novarum rerum cupidus, nun eben.
Ich möchte wieder lachen oder weinen
(es wäre gar kein großer Unterschied)
und überlegen: wie man mich wohl sieht ?
Ich möchte etwas sein und scheinen.
Ich möchte mir ein hohes Ziel erküren,
wie es noch nie ein Mensch vor mir bedacht.
Ich möchte groß und schlaflos in der Nacht
das flügelschlagen meiner Sehnsucht spüren.
Ich möchte, weil ein Mädchen mir nicht glaubte,
das Leben und die Welt nicht mehr verstehen.
Noch lieber möchte ich zugrunde gehn,
weil sie mir nicht den kleinsten Kuß erlaubte.
Ich möchte in entlegnem Dämmergarten,
darauf der Juli rastet reglos warm,
mit einem Notenalbum unterm Arm
auf die, die mir seit gestern du sagt, warten.
Ich möchte jeden scheelen Blicks betrachten,
der mit den Mädchen überhaupt verkehrt,
und einen Freund besitzen, der mich lehrt,
die dummen Gänse gründlich zu verachten.
Ich möchte sämtlichen Verboten höhnen
und eines Tages in verwegner Flucht
entrinnen aller elterlicher Zucht
und nachher unter ihrer Willkühr stöhnen.
Ich möchte nie im fußballspielen rasten
und heimwärtsschleichen mit zerschundnen Knien.
Ich möchte Winnetou und Plastilin
und Matador und Richters Steinbaukasten.
Ich möchte staunend in die Tage treten
mit großen Augen und verwirrtem Sinn,
und lernen, wo ich wohne, wer ich bin.
Ich möchte vor dem Schlafengehen beten.
Ich möchte meine ersten Worte lallen
und schlummern ohne Wissen, ohne Ziel.
Ach alles, was ich weiß, ist mir zu viel.
Ich bin von großer Müdigkeit befallen.
Ich möcht´ hintüber sinken in die Kissen,
ich möcht´ dorthin, wohin ich geh, nicht gehn,
ich möchte alles, was ich seh, nicht sehn,
ich möchte alles, was ich weiß, nicht wissen,
ich möchte alles, was ich fühl, nicht fühlen
und ganz allein sein ... Nein, nicht ganz allein:
ich möchte gern zwei kleine Hunde sein
und miteinander spielen.
Friedrich Torberg (1938)
david ramirer - Sonntag, 26. Oktober 2008, 00:00